Ein Gerichtsentscheid in Ägypten empört die Frauen


Die Entscheidung eines Berufungsgerichtes in Alexandria hat viele ägyptische Frauen empört. Das Gericht gab einem Mann recht, der eine Scheidung mit der Begründung forderte, seine Frau sei zu dick und außerdem wenig attraktiv. Die Forderung der Frau nach Unterhaltszahlung in Höhe von 23.000 ägyptischen Pfund (etwa 12.600 Mark) wurde abgelehnt. Das Erscheinungsbild der Frau, so lautete die Kritik, solle zumindest vor Gericht nicht über den Bestand einer Ehe entscheiden. Das Gericht hingegen befand, die Frau sei an der Scheidung schuld, weil sie keinen Wert auf ihr Äußeres gelegt habe, und dürfe daher auch keinen Anspruch auf Unterhaltszahlung erheben. Der Richter Ahmad Id entschied, die Ehefrau gebe ihrem Mann allen Grund, davonzulaufen. Fettleibigkeit allein sei jedoch kein ausreichender Grund für den Mann, sich scheiden zu lassen und seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachzukommen, sagte der Richter. Vielmehr sei die Nachlässigkeit der Frau entscheidend. Sie habe damit ihre ehelichen Pflichten gegenüber dem Mann nicht erfüllt.

Für sein Urteil führte er gesetzliche Bestimmungen an, nach denen der Mann und die Frau zu „gesetzlichen Genüssen im Rahmen der Ehe" berechtigt seien. Falls jedoch diese „Genüsse" nicht zu erlangen seien, sei die Ehe unvollständig. Von keinem der Partner könne verlangt werden, sich mit dieser Lage abzufinden. Ein Ehemann sei berechtigt, seine Frau so elegant und hübsch zu sehen wie zu Beginn der Ehe. Die Frau habe wiederum Anspruch auf eine leidenschaftliche, fürsorgende und respektvolle Haltung des Mannes. Ihr werde nur dann eine Entschädigung zugestanden, wenn der Mann die Beziehung abbricht, obgleich die Frau alle von ihr erwarteten Pflichten erfülle.

Es sei „absolut unannehmbar", wenn der Mann Vergnügen außerhalb der Ehe suche. Ein Ehemann, der unzufrieden sei mit dem Aussehen seiner Frau, so befand der Richter, könne diese Frage mit ihr besprechen und nötigenfalls nahe Verwandte einschalten. Falls alle Versuche, ihre Haltung zu ändern, scheiterten, sei er zur Scheidung ohne Unterhaltszahlungen berechtigt.

In Ägypten kann man leicht den Eindruck gewinnen, daß nicht wenige Frauen zur Fettleibigkeit neigen. Von den Männern, die ihrerseits diesen Frauen an körperlichem Umfang kaum nachstehen, heißt es, viele von ihnen verschmähten allzu dünne Partnerinnen. Unter dem Einfluß westlicher Modevorstellungen hätten sich, so sagen Ägypter, im Laufe der vergangenen Jahre auch die Vorstellungen von Schönheit und körperlicher Anziehungskraft zugunsten schlankerer Frauen und Männer geändert. Die Gerichtsentscheidung von Alexandria hat nicht nur vollschlanke Frauen verärgert, von denen manche nun um den Bestand ihrer Ehe bangen mögen. Andere Frauen lehnen das in dem Urteil anerkannten Prinzip ab, nach dem das Aussehen einer Frau dem Mann das Recht zur Scheidung und selbst zur Verweigerung von Unterhaltszahlungen geben soll.

Eine von ihnen, Suha Abdal Qadir, empörte sich in einem Zeitungskommentar. Ehemänner auf der ganzen Welt, so meinte sie, wüchsen dicke Bäuche, anderen fielen die Haare aus, manche hätten schlechte Tischmanieren, oder benähmen sich zu Hause schlampig, zu schweigen von den häßlichen Lauten, die ihre Körper während oder nach dem Essen ausstießen. „Haben wir jemals davon gehört, daß eine Frau sich von ihrem Ehemann aus diesen Gründen hat scheiden lassen?" Nach den von ihr angeführten Bestimmungen des islamischen Rechtes, der Scharia, gibt es eine Reihe von Scheidungsgründen für die Frau - wie etwa die Impotenz des Mannes oder finanzielles Unvermögen. Die Kommentatorin führte eine der vielen überlieferten richtungsweisenden Begebenheiten aus dem Leben des Propheten Muhammad an: Eine Frau kam zu ihm und erklärte, ihr Ehemann sei freundlich und höflich zu ihr, doch sie möge ihn nicht. Der Prophet entschied, die Frau könne von ihrem Mann geschieden werden und alle ihre Rechte beanspruchen. Die Schlußfolgerung der Kommentatorin: Beide Ehepartner sollten ihr Bestes tun, um gut füreinander auszusehen.


Frankfurter Allgemeine Zeitung 24. Januar 1998